Textprobe | Vorwort zu Literatur-Online |
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"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott." Nur wo das Wort später sein informierendes, aufklärendes, unterhaltendes oder auch demagogischen Wesen oder Unwesen Treiben sollte, das unterlag menschlichem Erfindungs- und Streitgeist - bis hin zur Erfindung des Buchdrucks und einer genialen Mischung aus Papier, Druckerschwärze, Leinen, Leim und Pappkarton, einer Mischung auch aus Zeichen und sinnlicher Erfahrung. Das Wort gehörte fortan aufs Papier, die Literatur zwischen Buchdeckel und das Buch ins heimische Regal. Soll heißen: Das Buch steht wie kein anderes Medium für Kultur und Bildung, die "Gutenberg-Galaxis" ist seit 1445 Hort der Worte, ein Ort mit Tradition eben und nunmehr traditionellen Branchen, die die Bedeutung des Buches denn auch zyklisch beschwören. Erst die Verbindung von "Volkscomputern" und deren globaler Vernetzung hat einen nachhaltigen Zweifel an dieser medialen Ausschließlichkeit bewirkt. Sollte die Literatur etwa abwandern können in dieses ganz und gar unelegante Medium? Haben damit die letzten Stunden des vertrauten Buches geschlagen? "Im Anfang war Hysterie, die Hysterie war im Literaturbetrieb, und der Literaturbetrieb war Hysterie." Das Internet sollte pauschal zum niveaulosen Feinbild des klassischen Mediums Buch gemacht werden, allerorten wurden die Gefahren von Analphabetentum und schnellebigem Info-Discount an die zumeist bildungsbürgerlichen Wände gemalt, schwer stupide "Kids", die paralysiert und denkfaul vorm Monitor hocken, nachdem der Fernseher bereits die Vorarbeit in Sachen Verdummung geleistet hat. Kein Buch nirgends - keine Rettung? Eine etwas verängstigte Gemeinschaft bildete sich in solidarischer Abwehr heraus - und tat dabei ein wenig so, als wäre jedes gedruckte Buch immer auch schon ein guter und bildender Inhalt - und das Internet per se ein häßliches Füllhorn für wertlosen Inhalt. In jener Zeit durften dann wirklich alle Voll- und Halbprominenten einmal ihre Solidarität mit dem klassischen Buch - am besten in einem solchen -demonstrieren. Schließlich gehört es zum guten Ton, "gute Bücher" zu lesen - und es ist fast ein Tabu, ganz bücherlos durchs Leben gezogen zu sein. Und das fand schließlich auch jeder sympathisch - denn die meisten denken und fühlen ja auch tatsächlich so. Für das Buch mußte allerdings auch nie geworben werden, da die ausschließende Gegenüberstellung von Buch und Internet schon von Anfang an falsch war - und wohl auch für die nähere Zukunft nicht zutreffen wird. So folgte denn auch was folgen mußte, nämlich die notwendige Enthysterisierung - und siehe da: Buch und Internet konnten auf einmal sogar ganz freundschaftlich miteinander umgehen, die beiden Medien wurden gar zu guten Kollegen - und die digitalen Bemühungen rund ums Buch und die Literatur übernahmen in vielen Bereichen Pionierfunktion für andere Branchen. Und dies betraf nicht nur den E-Commerce allgemein, der mit der heute schon nicht mehr existenten Anwendung www.telebuch.de in Deutschland seinen Anfang nahm und in Amerika - man muss es kaum noch erwähnen - mit der nach amerikanischem Traum schmeckenden Seite von Amazon. Nein, es betraf und betrifft auch Kataloge, Suchmaschinen und die Literatur selbst, die mit den technischen und referentiellen Möglichkeiten einer Hypertextualität zu experimentieren begann. Die Frage war, ob das möglich geworden ist, was zuvor eher im philosophischen Kontext von Poststrukturalismus und Postmoderne schwerstintellektuell diskutiert wurde. Auch hier wurde die Literatur zum Experimentierfeld einer Theorie, die mit den Möglichkeiten des Internets vollkommen neue Denk- und Sinnstrukturen zu erkennen meinte, ein Denken jenseits jeder Theleologie wie es mit der Metapher des Rhizoms signalträchtig propagiert wurde. "Das Rhizom ist eine Metapher für das Internet. Die Grundkonzeption des Internets war und ist das Rhizom. Nicht, daß es den Gründern und Planern unbedingt bewußt geworden wäre oder ist. Das Rhizom steht dem alles ordnenden Verstand, der Einmagazinierung und Schubladisierung konträr gegenüber. Es ist einfach nur ein Verbindungsdepot. Nie ist es der Punkt, der Standort, die Perspektive, der Baum, nie ein Zentralautomat." (www.webtexte.de) Das ist natürlich die theoretische Emphase, die Gilles Deleuze und Felix Guattari schon vor über 20 Jahren gegen die vermeintlichen Zumutungen "großer Geschichten" (Lyotard) in ihrem Rhizom-Band zu formulieren suchten. Und eine neue Form der Literatur sollte nun versuchen, dieser Theorie wenn schon nicht realen so doch zumindest einen virtuellen Raum zu geben. Doch die Ergebnisse blieben aus theoretischer Sicht eher bescheiden, der Drang zur Geschichte mit einem Anfang und Ende sowie Standpunkt und Perspektive vorherrschend. Da halfen auch kollaboratives Schreiben, Hyperfiction und digitale Poesiemaschinen nur wenig. Projekte wie die Transformation des "Weiberromans" von Matthias Politycki in eine neue "Hyperliteratur" blieben eher Hype als neue Literatur. Da wurde ein Text unter multimedialen Beigaben nett aufbereitet fortgeschrieben, ohne dass dieser Text nicht auch in Buchform hätte veröffentlicht werden können. Hier spiegelte sich nur eine ohnehin etablierte Tendenz im Buchmarkt wieder, die neue Erregungsmaschinerie, mit der auch Bücher inzwischen besser vermarktet werden können. Bücher sind ein Ereignis, die Autoren zumeist jung, trendy und telegen - und die Themen richtig hip. Was sich geändert hat, ist mehr die mediale Präsentation von Büchern und Literatur, als die Literatur selbst. Und genau für diese modernisierte Präsentation eignet sich das Internet ausgezeichnet. Ein anderes Literatur-Projekt zeigt schon fast symbolisch das Verhältnis beider Medien zueinander, Rainald Goetz' "Abfall für alle". Begonnen hat alles als digitales Diarium: Goetz veröffentlichte seine täglichen Beobachtungen und die flankierenden Reflexionen im Internet - unter dem programmatischem Titel "Abfall für alle", frei zugänglich und täglich erweitert. Dem Gestus des Fragmentarischen und Spontanen entsprach die Art der digitalen Produktion. Vergleichbar dem Verhältnis von "klassischem" Briefe-Schreiben und moderner E-Mail-Kommunikation, gewinnt die digitale Literatur hier ihren Reiz und die Besonderheit aus dem vorläufigen Charakter, der Direktheit und Geschwindigkeit. Und das paßte schließlich auch in den Überbau von Techno und einem Denken im Beat der Musik, das Goetz auch in seinen anderen Werken propagierte. Und dann ganz plötzlich: Das Projekt hatte ein Ende, um kurz darauf zwischen schnöden Buchdeckeln veröffentlicht werden zu dürfen, fast 900 Seiten Papier; Regalgut für Intellektuelle auf der Höhe der Zeit. So standhaft sich das Subjekt gegen seine theoretisch längst beschlossene Auflösung wehrt, so widerständig zeigt sich Literatur in den bekannten Koordinaten von Autor, Buch und Leser. Selbst so ambitionierte und durchaus gelungene Gemeinschaftsunternehmungen wie das Projekt null, das vom DuMont-Verlag initiiert wurde, blieben immer auch und vor allem feine Appetitanreger und eine geeignete Möglichkeit, auf die Bücher der Autoren neugierig zu machen, Experimentierfelder und digitale Aperitivs eben. Die Literatur bleibt also wohl vorerst im Buch, auch wenn immer mehr von ihr und über sie im Internet zu finden sein wird, immense Informationsmassen rund um Autoren, Werke, Literaturgeschichte, Rezeption, Produktion und Publikation. Hinzu kommen all die Autoren, die das Internet als Veröffentlichungsmedium suchen, da ein Verlag noch nicht gefunden werden konnte, oder auch die einfach gerne Schreibenden, die ohne größere Ambitionen oder gar literarischen Missionsgeist trotzdem nicht wenige Textblöcke zum Wissen oder Unwissen der Menschheit beisteuern. Und dann sind da auch die leidenschaftlichen Leser und Sammler, die immer schon zur literarischen Kultur zählten - und die nun ihrer Leidenschaft im Internet Ausdruck verleihen, indem sie Textsammlungen anlegen oder eigene Überlegungen zu verherten Werkden anstellen. Texte und Kontexte sind im WWW näher beieinander, was Literatur ist, sein will oder nur beschreibt nicht immer klar geschieden. Das oft bemühte Bild von der Bibliothek zu Babel soll auch hier also wieder einmal als durchaus treffendes Bild Erwähnung finden. Und was hier gefunden werden kann, ist überaus sinnvoll und lohnenswert, ob auf intentionslosen Entdeckungstouren oder in gezielter Recherche. Ob Textsammlungen wie das Projekt Gutenberg (http://aol.gutenberg.de) oder die Recherchemöglichkeiten in internationalen Bibliotheken, ob digitale Rekonstruktionen wie z.B. Adelungs "Wörterbuch der hochdeutschen Mundart" oder die Rezensionsarchive aller bekannten Feuilletons: im Internet läßt sich das schnell und zumeist auch kostenfrei finden, was in Zeiten vor dem Internet kompliziert und langwierig über Fernleihen, aufwendige Recherchen und mehrere Kilometer Fußmarsch bewältigt werden mußte. Die Problematik, die allerdings auch hierbei bestehen bleibt, ist die Kenntnis der richtigen Wege im WWW, die Kenntnis darüber, wo und wie ich als User die Instrumentarien finden kann, mit denen ich schnell und möglichst spezifiziert das finde, was ich suche. Wo also sind die wichtigen Ausgangspunkte einer gelungenen LiteraTour? wo die Suchmaschinen, mit denen ich thematisch und systematisch zu Ergebnissen komme, die mich auch wirklich interessieren? Genau mit der Suche beginnt schließlich oft die große Ernüchterung - und mit dem Mehr an Information wächst die Komplexität und Bedeutung der richtigen Organisation. Zum Thema Literatur und Internet hat hier Reinhard Kaiser mit seinen "Literarischen Spaziergängen im Internet" Pionierarbeit geleistet. Das 1996 erschienene Buch ist inzwischen allerdings in vielen Bereichen veraltet, wobei Kaiser selbst im Angesicht der bisweilen bedrohlichen Innovations- und Fluktuationsgeschwindigkeit die Konsequenzen zog, und neben den Neuauflagen sein Projekt selbst auch ins Internet verlagerte. Mit dieser grundsätzlichen Problematik sieht sich jeder Versuch konfrontiert, ein Adressarium und Instrumentarium zum Thema Literatur-Online und Online-Literatur anzubieten, so natürlich auch der hier vorliegende. Eine Besonderheit ist dabei allerdings die ab ovo angelegte Bimedialität des Projekts, d.h. die Veröffentlichung der Adressen sowohl innerhalb der Reihe deutsche-internetadressen.de als auch online im Libri.de-Literatur-Portal. Dem Engagement des Arcum-Verlages ist es zu verdanken, dass aus einführenden Gesprächen schnell ein ambitioniertes Gemeinschaftsprojekt wurde, das nicht zuletzt durch die literarische Begeisterung aller Beteiligten Gestalt annahm. Ergebnis ist eine Link- und Adressensammlung, die die vielen neuen Seiten der Literatur in kompetenter Bewertung vorstellt - und somit durch Sichtung und auch Wertung die explosionsartig angewachsene Menge der Links zum Thema Literatur sinnvoll gliedert und hierarchisiert. Daß dabei nicht jede Seite Berücksichtigung finden konnte, versteht sich von selbst. Nicht selbstverständlich hingegen ist der Anspruch der Kooperation, die Plattform für Literatur zu sein, die immer auch Hinweise auf Seiten zum Thema Literatur zu berücksichtigen sucht. Das heißt: unser Literaturportal wächst mit dem Interesse und auch dem Engagement seiner User und Leser, deren Hinweise und Anmerkungen neben der eigenen Weiterentwicklung und redaktionellen Erweiterung für Aktualität und Dynamik sorgen werden. Für Libri.de ist dabei insbesondere die Verbindung von vorhandenen Ressourcen und neuen Möglichkeiten wichtig, wie also das Literatursystem, seine medialen Strukturen, Akteure und Produktionen durch das Internet gewandelt werden und gewandelt werden können und wie sie im Internet vertreten sind. Als Plattform auch für den stationären Buchhandel sucht Libri.de zum einen die literarische Fachkompetenz des einzelnen Buchhändlers ins Internet zu holen, während zum anderen enge Kooperationen mit Books on Demand, Infoball oder auch dibi.de neue Möglichkeiten von Buchproduktion, globaler Recherche und elektronischem Publizieren verorten. Die Allianz von vorhandenem Know-How und die systematisch genutzten und ausgebauten neuen Möglichkeiten der Literatur im "Informationszeitalter" sollen hierbei konzentriert zusammengeführt werden, jenseits von überholten bildungsbürgerlichen Ansprüchen und überzogenen Visionen einer undefinierten Hyperliteratur. Es geht - in einfachen Worten - um die Verbindung von pragmatischem Nutzen und möglichen neuen Erfahrungen, die das Internet für Literatur-Interessierte zu bieten vermag - und die mit dem vorliegenden Buch und dem Literaturportal unter Libri.de zugänglich gemacht werden sollen, also um - in den Worten Robert Musils - Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn - und die vielfältigen Freuden an der Literatur. Und die wird durch das Internet weder verdrängt noch grundlegend verändert. Es ändern sich die Kommunikation über Literatur und nicht wenige Bereiche des Literaturbetriebs. Und das kann der Literatur eigentlich nur gut tun - denn Literatur lebt auch von der möglichst intensiven Diskussion über sie. Wir hoffen also, mit unseren gemeinsamen Bemühungen einen wichtigen Beitrag zu genau dieser Kommunikaton über Literatur beisteuern zu können. Thorsten Pannen |
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