Textprobe | Schlusswort zu Robert Walser |
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"MEINE BEMÜHUNGEN" Zur Identität von Utopie und Ideologie, von Kunst und Wirklichkeit Der Neger jedoch gilt von Beginn an als der inferiore Teil, der rücksichtslos zu bearbeiten ist, und das von ihm Gebotene wird a priori als ein Manko verurteilt. Man hoffte im Neger so etwas von Beginn zu fassen, der aus dem Anfangen nie herauslange. (Carl Einstein) Die für die Literatur der Moderne vielzitierte 'Krise des Romans' kennzeichnet nicht minder die Texte Walsers, die bis hin zum "Räuber"-Roman zunehmend den Charakter von Versuchen darstellen, sich der 'großen Form' anzunähern. Will die Literaturwissenschaft am Gattungsbegriff als heuristischem Instrument festhalten, muß sie dessen Bedeutung spezifizieren und die Kategorien festlegen, mit der eine sinnvolle Anwendung auf den Gegenstandsbereich sich noch legitimieren läßt. Mit einer ausschließlich deskriptiven Ausrichtung und Differenzierung allein führt die Terminologie zur Problematik, daß dem Begriff selbst weder qualitative noch kritische Funktion für die Erkenntnis der Literatur zukommt. In Gero von Wilperts "Sachwörterbuch der Literatur" findet das Dilemma der Theorie seinen lexikalisch verzeichneten Ausdruck. "Überhaupt spielt die Zugehörigkeit der einzelnen Dichtung zu e. bestimmten G. weniger für ihr Wesen e. Rolle als für die theoretische Beschäftigung der Literaturwissenschaft, die bei der systemat. Ausweitung ihres Forschungsfeldes gelegentlich auch Didaktik und Essay als G. anzuerkennen geneigt ist." Die Methode droht somit in theoretischer Selbstgenügsamkeit sich zu verlieren. Daß insbesondere Walsers Prosa "fern jeder Gattung" stehe, konstatiert Martin Jürgens und verweist auf die dekonstruktiven und heterogenen Strukturmomente, die mit den Ordnungsbedürfnissen einer Gattungsästhetik nicht in Einklang zu bringen seien. Statt dessen gelte es, Walsers Prosa als Ausdruck eines "mimetischen Verhaltens aufzufassen" , um somit ihre Besonderheit der Erkenntnis zugänglich zu machen. Das mimetische Vermögen, das sich der auf Eindeutigkeit abzielenden Begrifflichkeit entzieht, wird somit selbst zur letzten Erkenntnis, welche dann aber am Manko der eigenen Indifferenz laboriert. Das Verhältnis von methodischem Instrumentarium und dem Bezug zum Erkenntnisobjekt kann jedoch weder durch die forcierte Selbstreferenz der Methode noch durch die Aufhebung der epistemologisch notwendigen Distanz harmonisiert werden. Mit dem Identitätstheorem in seinen normativen wie deskriptiven Implikationen läßt sich ein Kristallisationspunkt ausmachen, der in seiner Duplizität sich für die kritische Interpretation eignet. 'Kritisch' meint hier eine Verfahrensart, welche die Analyse der ästhetischen Werke in ihren extratextuellen Bezügen auch auf die gesellschaftlichen Bedingungen der Interpretationsgrundlagen bezieht. Identität, verstanden als die Bewältigung kontingenter Erfahrung, ist der abstrakte Maßstab für den Begriff der Romangattung und liegt dem Entwurf des Selbst zugrunde, dem Versuch, sich innerhalb der jeweiligen historischen Bedingungen die Souveränität zu schaffen, welche persönliche Authentizität und geschichtliche Sinnhaftigkeit erst ermöglicht. Walsers Texte stellen "Bemühungen" (FdK 427) dar, "ein Selbstbildnis herzustellen" (FdK 427), "Bemühungen", ein Selbst zu modellieren, das noch als solches bezeichnet werden könnte. Ironie - als das literarische Verfahren dieser Versuche zum Selbst - erinnert zugleich daran, daß die vorgestellte Individualität der Figuren das Bewußtsein der Ideologie ausspart, indem die Figuren Ideologie idealisieren. Daß letztlich nur die "Bemühungen" das Ich noch kennzeichnen, findet eben auch in der formalen Organisation der Texte seinen Niederschlag: in den mit einer "gewissen Behendigkeit" verfaßten "Romanen, die dies unter Umständen gar nicht sind, die vielmehr Bücher sein mögen, worin allerlei erzählt wird." (FdK 428) "Bemühungen" aber kennzeichnen nicht nur das sich bemühende Individuum, sie beschreiben vielmehr die gesellschaftlichen Bedingungen, die das Bemühen bestimmen; in den Kategorien, welche die mögliche Erfüllung suggerieren, wenn auch die allgemeine Verfaßtheit dem vereinzelten Bestreben entgegensteht. Arbeit, Bildung und die private Gemeinschaft bleiben dafür die evidenten Inhalte, "Forderungen", deren "idealistische Last" (FdK 429) der Ideologie anheimfällt, wenn Selbsterhaltung als Arbeit und Bildung an sich nur um den Preis des Selbstverlustes gelingt. Walsers Texte stellen die ironische Inversion dieser Relation dar, indem sie aus dem Selbstverlust die authentische Selbsterhaltung versuchen. Sie sind insofern auch formale Experimente mit der Gattung des Romans über die prätendierte Destruktion seiner Strukturmomente. Am deutlichsten erfährt diese produktive Destruktion ihre strukturelle Gestaltung im "Räuber"-Roman, einem Mosaik aus Anekdoten und Motiven, die zum Teil in der Kurzprosa Walsers schon vorzufinden sind oder nach der Entstehung des Romans in der Kurzform erscheinen. "Ediths Anbeter" (WS 247), "Ediths Freundin" (WS 250), "Edith und der Knabe" (WS 243), "Der Schurke Robert" (WS 208) und "Der Räuber" (WS 263) sind hierbei nur die auffälligsten Parallelen. Sie akzentuieren auf gattungstheoretischer Ebene eine forcierte Tendenz zur Minimalisierung, die in der Materialität der Schrift, der "Bleistiftmethode" (Ewe 122), in der die Mikrogramme des "Räuber"-Romans abgefaßt sind, ihren physischen Ausdruck findet. "Damit vollzieht der Autor auf der Ebene der Schrift in gewisser Weise noch einmal das nach, wovon er immer schon erzählte: vom Kleinwerden des Ich und der Persönlichkeit, von dem Verschwinden einer sich authentisch behauptenden Individualität." Als Motiv findet sich die von Walser praktizierte Methode in Albert Ehrensteins "Tubutsch" (1911), wo der Zusammenhang von Selbsterfahrung und der schriftlichen Mitteilung des Selbst thematisiert wird. Da es "auf Dauer unmöglich" ist, "Ambrosia zu produzieren, während man selbst Kot fressen muß" , beschließt Karl Tubutsch, "alles, was (...) noch aufzuzeichnen" ist, "um es sozusagen noch vergänglicher zu machen, mit Bleistift niederzuschreiben." Aus der spezifischen Bedingtheit erst resultiert die Repräsentation des Selbst als des Nichtigen, die zugleich die verbliebene Authentizität des Individuums darstellt, von der aus die Bemühungen zur Identität ihre letzte Sicherheit beziehen. Doch der einzelne kommt über eben diesen Anfang nicht hinaus, so sehr er auch "auf Wahrung der Eigentümlichkeit hinzielt". (Ewe 348) "Irgendwelche feine Beschränktheit blieb ihm freilich, voll zurückhaltender Ehrlichkeit gesprochen, für immer." (Ewe 350) Die Verteidigung des Individuellen mit dem Material des historisch Gegebenen kennzeichnet die in den ästhetischen Texten materialisierten Versuche, die faktische Bedingtheit in individuelle Voraussetzungslosigkeit zu transzendieren, die Emanzipation des Selbst ohne die der Gesellschaft zu denken. Sie betreffen die Darstellung eines Figurenbewußtseins, welches im strukturellen Kontext jedoch auf seine faktische Unmöglichkeit zurückgeführt wird; ein Widerspruch, der zugleich den ironischen Charakter der Texte bestimmt. Der 'ästhetischen Existenz' entspricht kein reales Äquivalent; ein Dilemma, an dem insbesondere die Kunst der Avantgarde ihre Grenze erfährt. Der Besondere wird zum "Neger" (Ewe 348-352), der den "Hauptbestandteil menschlicher Wirklichkeit" dann erfährt in den "Wirkungen" (Ewe 350), die das, was ästhetisch sich als "Voraussetzungslosigkeit" (Ewe 351) geben kann, auf die Realität "sozialer Gestuftheit" (Ewe 352) zurückführt, auf die reale Diskriminierung. Obwohl zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der ästhetischen Adaption afrikanischer Kunst eine innovative Primitivität und Naivität verbunden wurde, bleibt die europäische Realität doch gebunden an die bestimmende "Voraussetzung", die sie für sich beansprucht, "nämlich die einer unbedingten, geradezu phantastischen Überlegenheit" , welche jede abweichende Besonderheit zugleich als Manko des anderen registriert. Die Kategorien der 'aufgeklärten' Welt entfalten ihre repressive Dimension im Bezug zum Anderen, das nur im Rahmen von "Unterhaltungszwecken" (Ewe 349) noch toleriert wird, nicht aber ernsthaft (vgl. Ewe 350) im Zusammenhang der alles bestimmenden "Handelsbedeutung" (Ewe 349). Reflektiert die Kunst die Grenze des Ästhetischen zur Realität, wie dies für die Texte Walsers konstitutiv ist, bleibt im resignativen Gestus die Erkenntnis darüber bewußt, daß die Anerkennung der besonderen Identität auch der veränderten gesellschaftlichen Voraussetzung bedarf und nicht sich ins Bestehende integrieren läßt. Daß eben diese Differenz eingeebnet zu werden droht, kennzeichnet eine Tendenz postmoderner Theorie, die mit "ästhetischem Denken" das zur bestehenden Realität machen will, was ihr als Fiktion noch widersteht, ganz nach der "abgestandenen Parole (...), Kunst sei heimzuholen ins Leben und dort mehr als Kunst." Die Voraussetzungen hierfür sind denkbar einfach. "Wir scheinen in einer Zeit zu leben, in der Nietzsches These vom Fiktionscharakter alles Wirklichen zunehmend plausibel wird. Das liegt daran, daß die Wirklichkeit selbst immer fiktionaler geworden ist." Man nehme nun die Kunst, insbesondere die der 'Moderne', und man gewahrt die "Potentialität des Wirklichen und entdeckt Alternativen und Öffnungen ins Unbekannte." Die "Übersetzung von Kunstformen in Lebensformen" ist vollbracht, ohne erst auf die gesellschaftlichen "Heilsvorstellungen" der Moderne, "das selbsterwirkte Geschöpf vorgeblicher Autonomie" , rekurrieren zu müssen. Hierin eben besteht die "List", welche die "Geburt der postmodernen Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst" ausmachen soll. Für die nur im Fiktionscharakter sich noch ändernde Wirklichkeit kann dann auch die regulative Zwangsvorstellung der Identität zugunsten der "variablen Identität" aufgegeben werden, zugunsten der durch die Kunst vorgeführten "Identitätsformen". Denn die Kunst "lebt die entsprechenden Verhaltensweisen vor und übt sie ein" , um sodann die 'plurale Freiheit' auch fürs Individuum realiter nachvollziehbar zu machen. Dem 'postmethodischen' Verfahren liegt eben der Fehlschluß zugrunde, der als ästhetisches Prinzip den ironischen Charakter der Texte Walsers ausmacht: die Unterstellung des Ideals im Faktischen, die Verschwisterung des Ideals mit der Ideologie. Hierfür stand immer schon das Reizwort des Pluralismus, welches voraussetzt, daß die Utopie der Moderne in ihren Grundbedingungen schon vorhanden sei und nur der individuellen Einlösung noch harrt. Das Zitat aus Nietzsches Lyrik jedoch, welches dann ein Beispiel für die postmoderne Identität abgeben soll, ist im gewählten Zusammenhang an ungewollter 'Fröhlichkeit' nicht zu überbieten: "Scharf und milde, grob und fein, / Vertraut und seltsam, schmutzig und rein, / Der Narren und Weisen Stelldichein: / Diess Alles bin ich, will ich sein, / Taube zugleich, Schlange und Schwein!" Zum Problem wird der Stellenwert des Ästhetischen, nachdem durch die Erfahrung der Grenzen von Kunst ihre Negativität überführt werden soll in die vermeintlich plurale Positivität der als ästhetisch erkannten Realität. Der Hypostasierung von Kunst entspricht dann aber die Indifferenz "ästhetischen Denkens" in bezug auf die gegebene Wirklichkeit; ein logischer Fehlschluß auch, der letztlich zur kruden Affirmation wird. "Weil die Wirklichkeit immer ästhetischer wird, muß auch das Nachdenken über die Wirklichkeit immer ästhetischer werden. Dieser Schluß ist selbst ein gutes Beispiel für ästhetisches Denken. Ein Beispiel für logisches Denken ist es gottseidank nicht. Sonst müßten wir am Ende immer fremdenfeindlicher werden, weil die Wirklichkeit immer fremdenfeindlicher wird." Fragwürdig werden die Utopien der Moderne durch ihre faktische Insuffizienz. Fortdauernde Unmündigkeit stellt eine an Autonomie und Mündigkeit orientierte Subjektvorstellung selbst unter Ideologieverdacht. Doch kann deshalb der Gehalt von Kunst nicht postmodern die Wirklichkeit harmonisieren. Er kann den Bemühungen zur gesellschaftlichen Moderne jedoch zur Authentizität verhelfen, als "Kritik", die die "Bemühungen" (FdK 430) auch der Wissenschaft begleiten muß. Walsers 'Romane' bilden eine Trilogie des Bemühens, welche die Verformung der Ideale hin zu repressiven Sicherheiten (vgl. DR 79) beschreibt; sie bilden Entstellungen ab, die auf die Unmöglichkeit der integrierten Utopie verweisen und gerade damit Utopie konkretisieren. Thorsten Pannen |
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